Arbeitstagung des Generalbundesanwalts mit den Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälten vom 7. bis 9. November 2016 in Leipzig Beschluss vom 9. November 2016 Die Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte der Länder sowie der Generalbundesanwalt halten es für dringend erforderlich, die Strafverfolgungsbehörden durch eine Anpassung der bestehenden gesetzlichen Regelungen wieder in die Lage zu versetzen, bei schweren Straftaten aufgrund richterlicher Anordnung die Telekommunikation von Beschuldigten (und deren Nachrichtenmittlern) effektiv zu überwachen. Notwendig ist hierfür die technikoffene Fortschreibung der strafprozessualen Rechtsgrundlagen, die den verdeckten Zugriff auf laufende Telekommunikation möglich macht und den technisch bedingten, zwingend mit der Überwachung einhergehenden Eingriff in die informationstechnischen Systeme im Wege einer Installationsbefugnis gestattet. Begründung Die Telekommunikationsüberwachung stellte lange Zeit im Bereich der Verfolgung schwerer und organisierter Kriminalität einen Eckpfeiler erfolgreicher Ermittlungen dar. Dies galt in besonderer Weise für die Bekämpfung des Terrorismus und anderer schwerster Straftaten. Die technische Entwicklung hat jedoch dazu geführt, dass der für die Sicherheitsbehörden auswertbare Anteil an der Kommunikation rapide abgesunken ist und weiter rasant abnimmt. Die Telekommunikationsüberwachung nach geltendem Recht fällt deshalb als Ermittlungsinstrument weitgehend aus. Die fortschreitende Umstellung der Festnetztelefonie auf VoIP, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung weit verbreiteter Kommunikationsapplikationen und der technische Fortschritt im Hardware-Bereich haben einen Zustand entstehen lassen, der die Erfüllung des grundgesetzlichen Auftrages des Schutzes der Bevölkerung vor Straftaten durch deren nachdrückliche Verfolgung in Frage stellt. Aktuell ist festzustellen, dass nur noch in weniger als 15 % aller Fälle vollständig unverschlüsselte Kommunikation auf Seiten der Beschuldigten durchgeführt wird und damit von den Strafverfolgungsbehörden überwacht werden kann. Gleichzeitig ist ausweislich von Stichproben des BKA erkennbar geworden, dass in zwei Drittel der Fälle seitens der Täter bewusst verschlüsselte Kommunikation zur Verschleierung eingesetzt wird, während in den restlichen Fällen der Anstieg des verschlüsselten Anteils dem mittlerweile üblichen Verbraucherverhalten und den Entwicklungen der Anbieter geschuldet sein dürfte, standardmäßig verschlüsselte Applikationen anzubieten oder zu nutzen. Im Ergebnis führt dies zu einem massiven Defizit beider Gewinnung von Beweismitteln durch Telekommunikationsüberwachung, die gerade durch die wachsende Relevanz elektronischer Kommunikation von zentraler Bedeutung bei der Aufklärung schwerer und organisierter Kriminalität ist. Zugleich belegen die verschlüsselungsbedingten Ausfälle, dass es nicht um eine Ausweitung staatlicher Grundrechtseingriffe, sondern ausschließlich um die Wiederherstellung des Zustandes geht, der bei der klassischen Telefonie bestand, bevor die Strafverfolgungsbehörden durch die technische Weiterentwicklung von dieser Beweiserhebungsmöglichkeit weitgehend abgeschnitten wurden. Die rechtliche Möglichkeit einer Ausleitung von zum Zeitpunkt der Überwachung erzeugten (laufenden) Kommunikationsinhalten noch vor ihrer Verschlüsselung ist daher dringend erforderlich. Bereits im Koalitionsvertrag des Bundes ist deshalb eine Neufassung der gesetzlichen Regelung zur sog. Quellen-TKÜ festgeschrieben worden. Auch die Justizministerkonferenz hat am 1./2. Juni 2016 einstimmig eine Entschließung zum Erfordernis einer gesetzlichen Regelung der „Quellen-TKÜ“ gefasst (TOP II.21). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere diejenigen zum Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen und zum BKAG (1 BvR 370/07 vom 27.02.2008; 1 BvR 966/09 vom 20.04.2016), haben einen gangbaren Weg für eine gesetzliche Regelung aufgezeigt. Aus Sicht der Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte sowie des Generalbundesanwalts wird die erforderliche Neuregelung zu bedenken haben, dass es jedenfalls solange eine Verpflichtung (auch ausländischer) Kommunikationsanbieter im Inland zur Entschlüsselung nicht existiert - eines verdeckten Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden auf die Endgeräte der Betroffenen bedarf und dass zur Sicherstellung der Überwachung laufender Kommunikation zunächst ein technisch bedingter Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist. Soweit davon unvermeidlich sonstige Daten des Systems betroffen sind, kann dem mit den bewährten Instrumentarien von Richtervorbehalt, gerichtlicher Überprüfung, Verwertungsverboten und Löschungspflichten begegnet werden. Da eine Lösung unter Berufung auf lediglich ungeschriebene Annexkompetenzen auf rechtliche Bedenken stößt, wird in der Gesamtschau angeregt, dass der Gesetzgeber die gebotenen engen rechtlichen Grenzen für eine Installationsbefugnis technikoffen beschreibt, indem er sicherstellt, dass der Eingriff in das informationstechnische System im Ergebnis lediglich die Überwachung der laufenden Kommunikation bezwecken darf, mithin der Ermöglichung hergebrachter Telekommunikationsüberwachung dient.